Aus dem Familiengericht
Interessante Entscheidungen, die uns betreffen und ein Verständnis für die deutsche Familienrechtssprengung schaffen.
Wegweisender Beschluss in Sachen Mutter-Kind-Kur
Franzjörk Krieg, für viele ein Begriff, hat in der vergangenen Woche einen, wie er es nennt, „wegweisenden Beschluss“ des OLG Jena veröffentlicht.
Das OLG-Jena stellt den Umgang vor die Kur. Weitere Hintergründe erfahren wir leider nicht. Mir kommt es so vor, als ob man suggerieren will, hier ist eine gute Entscheidung getroffen worden.
Für mich ist die Sachlage nicht so klar, ich frage mich, warum die Mutter nicht in die Kur fahren kann, zumal sich die Kinder drauf gefreut haben. Ebenso finde ich natürlich sollten wir Papas in eine Kur fahren dürfen. Mit unseren Kindern.
Dieser „Wegweisende“ Beschluss hätte meine Vater-Kind-Kur unmöglich gemacht. Ist das wirklich das Ziel? Was denkt Ihr? Schreibt gerne mal einen Kommentar, welchen ich in der nächsten Infobriefausgabe veröffentlichen würde.
Der Beschluss
Zwei Tage nach Antritt der Mutter-Kind-Kur durch die Mutter mit allen drei Kindern fällt das OLG Jena nach Beschwerde beider Eltern folgende Entscheidung:
Thüringer Oberlandesgericht
1 UF 153/25
Vorverfahren 1 F 396/23 AG Altenburg
Beschluss
In der Familiensache betreffend die minderjährigen Kinder:
1) Kind 1
2) Kind 2
3) Kind 3
Verfahrensbeistand
Mutter, Beschwerdegegnerin und Beschwerdeführerin: Mutter
Verfahrensbevollmächtigte
Rechtsanwältin
Vater, Beschwerdeführer und Beschwerdegegner: Vater
Verfahrensbevollmächtigte
Rechtsanwalt
wegen Umgangsrechts
hat der 1. Familiensenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Richter 1
Richterin am Oberlandesgericht Richterin 2 und
Richter am Oberlandesgericht Richter 3
am 26.06.2025
beschlossen:
Eine befristete Umgangsaussetzung abweichend vom Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Altenburg vom 28.04.2025, Az.: 1 F 396/23, für den Zeitraum 24.06.2025 bis 15.07.2025 wird nicht angeordnet.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Gründe:
Die Kindeseltern sind miteinander verheiratet und gemeinsam sorgeberechtigt für die Kinder Kind 1, Kind 2 und Kind 3
Zwischen den Beteiligten waren und sind bereits mehrere Gerichtsverfahren anhängig:
(Aufzählung von 10 Aktenzeichen mit Sache)
Im hiesigen Verfahren streiten die Beteiligten über den Umgang des Kindesvaters mit den drei Kindern. Mit Beschluss vom 28.04.2025 hat das Amtsgericht den Umgang des Kindesvaters mit dem Kind 2 unter anderem dahingehend geregelt, dass dieser jeweils in den geraden Kalenderwochen am Freitag nach der Schule (ab 11.00 Uhr) bis zum darauffolgenden Mittwoch zur Schule (Regelumgang) und jeweils in der ersten Hälfte der Winter-, Sommer- und Herbstferien des Freistaats Sachsen stattfindet. Die zweite Hälfte der Ferien verbringen die Kinder bei der Mutter.
Hinsichtlich der Kinder 1 und 3 hat das Gericht von einer positiven Umgangsregelung abgesehen.
Sowohl der Kindesvater als auch die Kindesmutter haben gegen die Entscheidung Beschwerde eingelegt. Der Kindesvater begehrt eine paritätische Betreuung des Kindes 2 sowie die Einrichtung fachlich begleiteter Umgänge mit den Kindern 1 und 3. Die Kindesmutter hat ihr Rechtsmittel noch nicht begründet.
Aktuell ist der Kindesmutter am 14.04.2025 eine Mutter-Kind-Kur nach § 24 SGB V für den Zeitraum 24.06. bis 15.07.2025 bewilligt worden, an der die gemeinsamen Kinder als Begleitpersonen teilnehmen können. Daraufhin hat die Kindesmutter mit Schriftsatz vom 16.06.2025 vor dem Amtsgericht ein einstweiliges Anordnungsverfahren angestrengt (1 F 299/25). Eine außergerichtliche Verständigung der Kindeseltern über die Teilnahme des Kindes 2 an der Kur oder einen Tausch der Ferienzeiten sei nicht zustande gekommen. Es würde dem Kindeswohl von Kind 2 widersprechen, wenn sie als einzige der Geschwister die Kur nicht vollständig mit absolvieren dürfe.
Die Kindesmutter hat unter anderem beantragt, den Umgang zwischen dem Antragsgegner und Kind 2 für den Zeitraum 24.06.2025 bis 15.07.2025 befristet auszusetzen.
Der Kindesvater wendet sich hiergegen. Auf seine Ausführungen vom 18.06.2025 und 25.06.2025 wird Bezug genommen.
Das Familiengericht hat die Beteiligten am 18.06.2025 persönlich angehört. Auf den diesbezüglichen Anhörungsvermerk wird Bezug genommen, ebenso auf die sich anschließende sorgerechtliche Entscheidung vom 19.06.2025. Mit weiterem Beschluss vom 19.06.2025 hat das Amtsgericht das Verfahren hinsichtlich der begehrten zeitweisen Aussetzung des Umgangs mit Blick auf das hiesige Beschwerdeverfahren abgetrennt und zur Entscheidung vorgelegt.
Der Senat hat den Beteiligten die Gelegenheit zur kurzfristigen weiteren Stellungnahme gegeben.
Die Entscheidung beruht auf § 64 Abs. 3 FamFG. Hiernach kann das Beschwerdegericht vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen. Ob eine Anordnung getroffen wird, steht allerdings im Ermessen des Gerichts.
Die inhaltliche Prüfung richtet sich vorliegend nach § 1684 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 BGB. Das Umgangsrecht eines Elternteils steht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Den Eltern soll die Möglichkeit gegeben werden, sich laufend von der Entwicklung und dem Wohlergehen des Kindes zu überzeugen, die persönlichen Beziehungen zu dem Kind zu pflegen, einer Entfremdung vorzubeugen und dem Liebesbedürfnis beider Seiten Rechnung zu tragen (BVerfG, Beschluss vom 26.09.2006 – 1 BvR 1827/06 – juris, Rn. 12). Es wird davon ausgegangen, dass der Umgang mit dem von der Ausübung der persönlichen Obhut ausgeschlossenen abwesenden Elternteil in aller Regel zum Wohl des Kindes gehört, § 1626 Abs. 3 Satz 1 BGB (OLG Brandenburg, Beschluss vom 29.06.2009 – 9 UF 102/08 – juris, Rn. 12). Denn als gewichtige Basis für den Aufbau und Erhalt einer persönlichen familiären Beziehung ebenso wie für das Empfangen elterlicher Unterstützung und Erziehung ist der Umgang eines Kindes mit seinen Eltern für seine Persönlichkeitsentwicklung von maßgeblicher Bedeutung (BVerfG, Urteil vom 01.04.2008 – 1 BvR 1620/04 – juris, Rn. 79). Im wohlverstandenen Interesse des Kindes benötigt es zum Aufbau einer gesunden Entwicklung seiner Persönlichkeit beide Elternteile als Identifikationspersonen (OLG Brandenburg, a.a.O., Rn. 12).
Gemäß § 1684 Abs. 4 Satz 1 BGB kann das Umgangsrecht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden, soweit dies zum Wohle des Kindes erforderlich ist. Geboten ist – unter Berücksichtigung des aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG fließenden Elternrechts und im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 29.11.2007 – 1 BvR 1635/07 – juris, Rn. 17) – eine Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen am Maßstab des Kindeswohls (Thormeyer in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl.,§ 1684 BGB (Stand: 15.11.2022), Rn. 134).
Die summarische Prüfung fällt vorliegend eindeutig zugunsten des Umgangsrechtes des Kindesvaters aus. Die objektive Notwendigkeit einer Teilnahme des Kindes an der Kur der Kindesmutter ist nicht gegeben. Die Teilnahme ist für das Kind selbst nicht medizinisch veranlasst; die drei Kinder sind lediglich Begleitpersonen. Die Einschätzung des Sachbearbeiters der Krankenkasse im Gespräch mit der Kindesmutter ist kein Beleg für die medizinische Indikation einer Teilnahme.
Auch der Umstand, dass sich die Kinder gemeinsam auf einen Kuraufenthalt freuen, rechtfertigt kein abweichendes Ergebnis. Das Umgangsrecht steht und fällt grundsätzlich nicht damit, ob sich das Kind situationsbezogen hierauf freut oder nicht.Den Kindeseltern steht es frei, die „Ferienhälften zu tauschen“, zumal das Kind offenbar die Kur bereits angetreten hat. Eine Neuregelung des Ferienumgangs ist jedoch angesichts der vorangestellten Erwägungen nicht veranlasst.Die weitergehenden Anträge des Kindesvaters rechtfertigen zum jetzigen Zeitpunkt keine vom 28.04.2025 abweichende Entscheidung.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst; die hiesige Entscheidung ist unselbständiger Teil des Beschwerdeverfahrens.
Juni 2025
Wie entscheidend ist das Jugendamt in familienrechtlichen Verfahren
unter Berücksichtigung des SGB VIII
Immer wieder wird aus meiner Sicht unrichtig auf die Verwendung der §18 SGB VIII geschaut. Oft erlebe ich Diskussionen, als ob man mit diesen Paragrafen ein Jugendamt für den eigenen Fall im familienrechtlichen Sinne in die Pflicht nehmen kann.
Die richtige Antwort darauf lautet: Kommt auf den Einzelfall an.
Klar ist, dass beispielhaft der § 18 Abs. 3 SGB VIII im Kontext eines Umgangsausschlusses eine untergeordnete Rolle spielt, da etwa die Nichtbereitstellung von Umgangshilfen durch das Jugendamt die familiengerichtliche Entscheidung nicht verfassungsrechtlich angreift. Der Fokus liegt auf dem Kindeswohl, und die Zuständigkeitsverteilung zwischen Jugendamt und Familiengericht wird als verfassungsrechtlich zulässig bestätigt.
Hierzu habe ich folgende Entscheidung des BVerfG gefunden:
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 13.1.2025 (1 BvR 1454/24) behandelt einen zeitlich befristeten Umgangsausschluss und berührt § 18 Abs. 3 SGB VIII, der die Gewährung von Hilfen durch das Jugendamt bei der Ausübung des Umgangsrechts regelt. Im konkreten Fall wurde die Verfassungsbeschwerde der Mutter, deren Umgang mit ihrem Kind bis 31.12.2024 ausgeschlossen wurde, nicht angenommen. Folgende Punkte sind in Bezug auf § 18 SGB VIII relevant:
Fehlende Entscheidung des Jugendamts: Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt begründete den Umgangsausschluss unter anderem damit, dass begleitete Umgänge, die eine Kindeswohlgefährdung verhindern könnten, mangels geeigneter Umgangsbegleiter nicht möglich seien. Die Beschwerdeführerin (Mutter) wies darauf hin, dass das Jugendamt ihren Antrag auf Hilfen nach § 18 Abs. 3 SGB VIII (z. B. Bereitstellung von Umgangsbegleitern) nicht beschieden habe. Das BVerfG stellte klar, dass dies die familiengerichtliche Entscheidung nicht verfassungsrechtlich angreifbar macht, da die Zuständigkeit des Jugendamts eine verwaltungsrechtliche Angelegenheit ist. Ein Vorgehen gegen das Jugendamt müsse in einem separaten verwaltungsgerichtlichen Verfahren erfolgen.
Trennung von familiengerichtlicher und verwaltungsrechtlicher Zuständigkeit: Der Beschluss unterstreicht die verfassungsrechtlich unbedenkliche gesetzliche Aufgabenverteilung zwischen Jugendämtern (§ 18 SGB VIII) und Familiengerichten (§ 1684 BGB). Das Fehlen einer Entscheidung des Jugendamts über Umgangshilfen beeinflusst nicht die Rechtmäßigkeit des familiengerichtlichen Umgangsausschlusses, da dieser auf der eigenständigen Prüfung des Kindeswohls basiert.
Kindeswohl als zentrales Kriterium: Die Entscheidung des OLG stützt sich auf die Feststellung, dass unbegleitete Umgänge das geistige und seelische Wohl des Kindes gefährden würden, etwa durch Loyalitätskonflikte aufgrund des hochstrittigen Elternkonflikts. § 18 Abs. 3 SGB VIII wird insofern relevant, als begleitete Umgänge theoretisch geeignet wären, diese Gefährdung zu verhindern, jedoch mangels verfügbarer Begleitpersonen nicht umsetzbar waren.
Kommentar von Stephan Gutte
Wie bereits beschrieben erlebe ich immer wieder Berater, die sehr überzeugend ihre Auffassung der gängigen Rechtslage und Gesetzesabwägung in der Praxis vortragen. Insbesondere, welcher Einfluss das SGB VIII (Kinder und Jugendhilfe) auf ein familienrechtliches Verfahren habe.
Wie man in der o.a. verfassungsrechtlichen Entscheidung klar entnehmen kann, spielt letztlich das fehlende Angebot des Jugendamts (wohl wegen Personalmangel) keine Rolle im familienrechtlichen Verfahren. Warum? Weil in der Abwägung kein Umgang besser ist als unbegleiteter Umgang und die Fragestellung des fehlenden Personals aufseiten des Jugendamts keinen Einfluss auf die familienrechtliche Entscheidung haben kann. Hier steht wie immer das Kindeswohl im Vordergrund.
Daher sehe ich das SGB VIII als wichtiges Instrument, aber nicht als absolute Lösung an. Natürlich sollte man außergerichtliche Lösungsversuche unternehmen. Leistet diese das Jugendamt nicht, bleibt nur verwaltungsrechtlich gegen das Jugendamt zu agieren. Allerdings läuft der familienrechtliche Fall weiter und sollte auch entsprechend bearbeitet werden.
Mai 2025
OLG Braunschweig (AZ.: 1 UF 136/24)
Dieser Grundsatz ist tatsächlich nicht neu, bereits auf Gerichtstagen wurde dies diskutiert. So habe ich erfahren, dass ein BGH-Richter gesagt haben soll:
"Dafür brauchen wir die Politik nicht, das können wir bei der heutigen Gesetzeslage doch direkt umsetzen."
Wenige Monate später kommt dieser Beschluss des OLG Braunschweig rein. Hier zeigt sich wieder, wie viele Hintertüren im Recht offen stehen und wie individuell letztlich immer wieder entschieden werden kann.
Die Leitsätze aus dem Beschluss:
1. Bei der herab Gruppierung im Rahmen des Kindesunterhalts wegen umfangreicher Mitbetreuung kann im Wege einer pauschalierenden Schätzung auf die Annahme zurückgegriffen werden, dass eine Mitbetreuung sich auf etwa 45 % der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben für ein Kind nach § 6 RBEG auswirkt.
2. Bei einer Mitbetreuung von einem Drittel kann eine geschätzte Bedarfsdeckung zu einem Anteil von 15 % angenommen werden.
3. Eine Bedarfsdeckung zu einem Anteil von 15 % rechtfertigt eine herab Gruppierung um drei Einkommensgruppen der Düsseldorfer Tabelle.
Wichtig ist zu bedenken, dass es nicht unter den Mindestunterhalt geht. Hier findet die Tabelle weiterhin ihre Bedeutung, da es sich ja bei diesem Mindestunterhalt um das Existenzminimum des Kindes handelt.
Hier die Links: